Der Poynting-Robertson-Effekt

Eine korrekte Abhandlung des Effekts

von Dr. Rolf Schröder

(geändert: )

Inhalt

Prolog
Annahmen und Voraussetzungen
Der Fußgänger im Regen
a) Im Beobachtersystem
b) Im Fußgängersystem
Mesolog
a) Der Schirm im Strahlungsfeld
b) Eine Nebenbemerkung
c) „tangential“ und „horizontal“
Das Staubkorn in der Sonnenstrahlung
a) Die tangential wirkende Kraft
b) Bahndynamik und Lebensdauer des Staubkorns
c) Drei Beispiele
d) Die radial wirkende Kraft
„Bremsen beschleunigt!“, ein Paradoxon?
Beispiele irreführender oder unphysikalischer Beschreibungen
Epilog
a) Die Vermeidung der Planckschen Konstanten h
b) Die perfekt reflektierende Kugel
c) Warum?
Quellenverzeichnis

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Prolog

Es scheint erstaunlich, daß um die Sonne kreisende Staubteilchen – solange nur der abstoßend wirkende Strahlungsdruck des Sonnenlichts nicht die Gravitationskraft übertrifft – langsam in die Sonne spiralen. Dieses Phänomen wird durch den Poynting-Robertson-Effekt erklärt. Das Planetensystem wird dadurch sozusagen „entstaubt“. Der Effekt wurde 1904 von John Henry Poynting [1] (siehe Seite 537, PART Ⅱ) noch mittels der Äthertheorie, später (1937) von Howard Percy Robertson [2] allgemeinrelativistisch richtig beschrieben.

Bereits vor Robertsons Arbeit war schon 1918 eingewandt worden, daß im Gegensatz zu Poyntings Erklärung die Ausstrahlung eines bewegten Körpers nicht zu dessen Abbremsung führen kann, weil dieses u. a. im Widerspruch zur Relativitätstheorie steht, siehe z. B. die Arbeit von L. Page [3] bzw. [4]. Auch J. Larmor fiel es schwer, diese Tatsache zu akzeptieren, siehe Robertson [2], Seiten 424 und 425, in denen er Larmor zitiert.

Hier wird der Effekt vereinfacht, aber dennoch physikalisch korrekt, hergeleitet. Es werden im wesentlichen einerseits nur klassischer Impuls und Drehimpuls und ihr Zusammenhang mit Kraft und Drehmoment benutzt, andererseits aber auch der aus der Relativitätstheorie stammende Satz über die Äquivalenz von Masse und Energie.

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Annahmen und Voraussetzungen

Wir betrachten ein kugelförmiges Staubteilchen mit Radius r im Strahlungsfeld der Sonne. Unter Strahlungsfeld sei ausschließlich das aus Photonen (elektromagnetische Strahlung, „Licht“) bestehende verstanden, da die Sonne ihre Energie ja ganz überwiegend durch Ausstrahlung von Photonen abgibt, die Partikelstrahlung bleibe unberücksichtigt. Das Staubteilchen bewege sich auf einer Kreisbahn um die Sonne. Seine Bahngeschwindigkeit v ist vergleichsweise klein zur Lichtgeschwindigkeit c, v ≪ c, so daß wir einerseits keine relativistischen Geschwindigkeitseffekte berücksichtigen müssen und andererseits auch Unterschiede, die sich z. B. für die Energiedichte der Sonnenstrahlung je nach Bezugssystem ergeben, vernachlässigen können, die Ergebnisse unterscheiden sich nur um den Faktor (1 ± v/c). Andere relativistische Aussagen, insbesondere die über die Äquivalenz von Masse und Energie, sind dagegen – wie schon erwähnt – von essentieller Bedeutung für die Beschreibung des Effekts!

Ferner soll das Teilchen die einfallende Sonnenstrahlung vollständig absorbieren, es sei völlig schwarz. Das Teilchen soll exakt entsprechend seiner Projektionsfläche AK = r2∙π Energie bzw. Masse aus dem Strahlungsfeld aufnehmen. Abweichungen durch Brechungs- und Streueffekte, die insbesondere für kleine Radien r in Größenordnung der Strahlungswellenlänge von Bedeutung seien können, werden ignoriert. Durch die Strahlungsabsorption wird das Teilchen erwärmt, seine Temperatur steigt an. Zudem ist diese Energieaufnahme einer Massenzunahme äquivalent nach der Gleichung E = M∙c2. Da das Teilchen schwarz ist, strahlt es nach dem Stefan-Boltzmann-Gesetz entsprechend der vierten Potenz seiner Temperatur auch Energie als Wärmestrahlung wieder ab. Die Temperatur wächst durch Energieabsorption solange, bis die absorbierte Strahlungsleistung gleich der ausgestrahlten ist: die sog. Gleichgewichtstemperatur ist erreicht, sie liegt im Abstand Erde-Sonne bei ungefähr 280 K. Im zeitlichen Mittel ist dann auch die Masse des Teilchens konstant.

Weiter wird vorausgesetzt, daß die Energieabstrahlung aus Sicht des Teilchens nach allen Raumrichtungen gleichmäßig so erfolgt, daß insgesamt dadurch keinerlei Kräfte auf das Teilchen wirken. Zwei physikalische Vorgänge gibt es, die diese Annahme rechtfertigen. Zum einen ist wegen der kleinen geometrischen Abmessungen des Teilchens die Wärmeleitung im Teilchen so effektiv, daß ein fast vollständiger Temperaturausgleich erfolgt – trotz einseitiger Energiezufuhr. Zum zweiten zeigen theoretische Untersuchungen, daß kleine Staubteilchen (r ≈ 5∙10–6 – 5∙10–7 m) aufgrund von Wechselwirkungen der interplanetaren Gasatome bzw. Gasmoleküle mit der Oberfläche der Staubteilchen diese in schnelle Rotation versetzen, die Rotationsfrequenzen liegen im Bereich von ≈ 104 bis ≈ 107 Hz. Auch die Ausrichtung der Rotationsachsen wird dadurch ständig verändert. Die schnelle Rotation und die sich ständig ändernde Ausrichtung der Rotationsachsen führen dazu, daß die Energieabstrahlung – zeitlich gemittelt – in alle Raumrichtungen gleichmäßig erfolgt. Diese beiden Effekte berechtigen also die Annahme, daß die Energieabstrahlung als isotrop anzusehen ist und somit – zeitlich gemittelt – durch Abstrahlung keine Kräfte auf das Teilchen wirken.

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Der Fußgänger im Regen

Wir wollen die Kraftwirkung der Sonnenstrahlung auf ein Teilchen in zwei verschiedenen Bezugssystemen bestimmen: a) im Bezugssystem eines ruhenden Beobachters und b) im Bezugssystem des Teilchens. Ein sehr anschauliches und gutes Analogon ist ein sich im Regen bewegender Fußgänger. Die Wirkung des Regens auf ihn betrachten wir zunächst als ruhender Beobachter, dann im System des Fußgängers selbst.

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a) Im Beobachtersystem

Betrachten wir als ruhender Beobachter einen im Regen gehenden Fußgänger. Relativ zu uns fällt der Regen senkrecht mit der Geschwindigkeit c, der Fußgänger bewegt sich waagerecht mit der Geschwindigkeit v. Der Fußgänger trage einen flachen Regenschirm vor sich her, wir stellen ihn uns idealisiert als einen ebenen Schirm vor, der senkrecht gehalten wird, d. h., die Flächennormale des Schirms sei waagerecht ausgerichtet. Die Fläche des Schirms sei AS. Poynting-Robertson-Effekt 1 Ein Regentropfen habe die Masse mT, die Anzahldichte der Tropfen, also die mittlere Anzahl von Tropfen pro Volumen, sei dNT/dV. Die Massendichte des Regens ist daher ρ = mT∙dNT/dV = dM/dV.

Das linke Teilbild zeigt den Vorgang im Beobachtersystem für ein Zeitintervall dt (das rechte Teilbild zeigt gleichzeitig den Vorgang im Fußgängersystem). Wir sehen, wie der Schirm durch seine horizontale Bewegung seitlich mit den Tropfen zusammentrifft. Die Richtungspfeile beschreiben die horizontale Bewegung des Schirms und die vertikale Bewegung des Regens.

Im Zeitintervall dt wird offenbar das Volumen dV durch den sich mit der Geschwindigkeit v bewegenden Schirm überstrichen, es ist dV = AS∙v∙dt. Wo ist der im Volumen dV ursprünglich befindliche Regen, seine Masse, geblieben? Natürlich wurde er vom Schirm „absorbiert“. Welchen Impuls hatte der im Volumen befindliche Regen? Da der Regen keine horizontale Geschwindigkeitskomponente hat – der Regen fällt senkrecht – hat er auch keine horizontale Impulskomponente, er hat nur eine vertikale Komponente dpv (= c∙dM = c∙ρ∙dV), die uns aber im folgenden nicht interessiert. Wichtig ist, daß die vom Schirm absorbierte Regenmasse dM (die Tropfen bleiben auf dem Schirm „kleben“) vom Schirm mitgenommen wird und sie dadurch den horizontalen Impuls v∙dM erhält. Entsprechend verliert der Schirm den horizontalen Impuls:

dpt = −v∙dM .

Dividiert man diese Gleichung durch die Länge des Zeitintervalls dt, in dem der Schirm den Impuls bekam, dann erhält man die Kraft Ft, die auf den Schirm in horizontaler Richtung entgegen der Bewegungsrichtung wirkt:

Ft = dpt/dt = −v∙dM/dt .

Die Kraft Ft wirkt also auf den Schirm entgegen seiner horizontalen Geschwindigkeit v. Ersetzen wir noch dM nach

dM = ρ∙dV = ρ∙AS∙v∙dt ,

so fogt endlich für die Kraft Ft:

Ft = −ρ∙AS∙v2 .

Ein Wort noch zur Masse des Regenschirms: sie müßte ständig zunehmen, da der Regen vom Schirm ja absorbiert wird. Aber nach Absorption fließt der Regen den Schirm hinab und tropft schließlich auf den Boden, ohne beim Abtropfen eine Kraft auf den Schirm auszuüben. Daher bleibt die Masse des Schirms (im zeitlichen Mittel) unverändert.

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b) Im Fußgängersystem

Der Fußgänger sieht den Regen schräg von oben auf sich zukommen. Er stellt fest, daß der Erdboden sich ihm gegenüber horizontal mit der Geschwindigkeit −v bewegt. Er stellt auch Poynting-Robertson-Effekt 2 fest, daß der Regen mit derselben horizontalen Geschwindigkeitskomponente −v auf ihn zukommt und auf seinen Regenschirm trifft.

Das rechte Teilbild zeigt den Vorgang im Fußgängersystem für ein Zeitintervall dt (das linke Teilbild zeigt gleichzeitig den Vorgang im Beobachtersystem). Der schräge Richtungspfeil beschreibt die Bewegung des Regens.

Durch den Schirm wird im Zeitintervall dt das Volumen dV = AS∙v∙dt „leergeräumt“. Das dem Volumen entsprechende Massenelement dM = ρ∙dV hat den (horizontalen) Impuls

dpt = −v∙dM .

Der Impuls wird vom Schirm aufgenommen, da die Regenmasse dM auf dem Schirm kleben bleibt. Nach Division mit dem Zeitintervall dt, in dem die Masse dM aufgenommen wird, erhalten wir wieder eine horizontale Kraft Ft, die auf den Schirm wirkt:

Ft = dpt/dt = −v∙dM/dt ,

und daher entsprechend wie zuvor unter a):

Ft = −ρ∙AS∙v2 .

Dieses Ergebnis stimmt − wie zu erwarten − mit dem vom Standpunkt des ruhenden Beobachters überein. Auch hier ist es so, daß der Regen, nachdem er vom Schirm aufgefangen wurde, dann an ihm herunterläuft und, ohne beim Abtropfen eine Kraft auf den Schirm auszuüben, auf den Boden tropft: Die Masse des Schirms ändert sich im zeitlichen Mittel nicht.

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Mesolog

a) Der Schirm im Strahlungsfeld

Zur Beschreibung der bremsenden Kraft auf den Schirm des Fußgängers im Regen ist deutlich geworden, daß es nur auf die Massendichte ρ des Regens ankommt, und mit welchem Geschwindigkeitsquadrat (orthogonal zur Fläche!) das Volumen überstrichen wird. Der Fall eines Strahlungsfeldes (Photonen) ist prinzipiell nicht anders. Eine bildliche Veranschaulichung des Vorgangs ist allerdings im Falle des Strahlungsfeldes (Photonen) nicht mehr realistisch möglich, und zwar wegen v ≪ c, c ist jetzt die Lichtgeschwindigkeit. Der schräge Einfall von Photonen wäre also in dem obigen Bild stark übertrieben dargestellt, wenn wir uns den Regen durch Photonen ersetzt denken.

Statt einer Massendichte ρ haben wir zunächst für das Strahlungsfeld die Energiedichte ε = dE/dV (Energie/Volumen). Nach der Relativitätstheorie gilt jedoch die Äquivalenz von Masse und Energie, und daher entspricht die Energiediche ε einer Massendichte ρ. Im folgenden wird die Massendichte ρ des Strahlungsfeldes über die Energiedichte ε, und diese wiederum aus der Intensität I bestimmt. Die Intensität I beschreibt den Energiefluß des Strahlungsfeldes, damit ist hier die Strahlungsleistung pro Fläche gemeint, die aus einer Richtung kommend senkrecht auf diese trifft. So ist z. B. die Intensität I der Sonnenstrahlung im Erdbahnabstand R ≡ 1 AE im zeitlichen Mittel gleich der sog. Solarkonstanten S (nach Tabelle [5], siehe dort Referenz 11.):

S = 1366.4 ±0.5 W/m2 .

Betrachtet man eine Strahlung, die in einem Zeitintervall dt eine Fläche A rechtwinklig durchströmt, so wird das Volumenelement dV = A∙c∙dt mit der Strahlungsenergie dE = A∙I∙dt ausgefüllt. Daher folgt für die räumliche Energiedichte ε als Verhältnis von dE/dV:

ε = dE/dV = I/c .

Nach der Relativitätstheorie gilt das Gesetz der Äquivalenz von Masse und Energie, formelmäßig beschrieben durch: dE = dM∙c2 bzw. dM = dE/c2. Damit können wir die räumliche Massendichte ρ = dM/dV des Strahlungsfeldes durch seine Energiedichte ε bzw. Intensität I ausdrücken:

ρ = dM/dV = (dE/dV)/c2 = ε/c2 = I/c3 .

Setzen wir nun dieses Ergebnis in unsere oben (Fußgänger im Regen!) gewonnene Formel für die Horizontalkraft Ft ein, so folgt also für die Kraft des Strahlungsfeld auf den Schirm:

Ft = −AS∙I∙v2/c3 .

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b) Eine Nebenbemerkung

Dividieren wir den Betrag der Kraft Ft, die ja senkrecht auf den Schirm wirkt, durch die Schirmfläche AS, so erhalten wir einen „Strahlungsdruck“. Wird für v die Lichtgeschwindigkeit c eingesetzt, so erhält man allgemein den Strahlungsdruck PS des elektromagnetischen Feldes der Intensität I:

PS = |Ft|/AS = I/c = ε ,

PS ist also gleich der räumlichen Energiedichte ε = dE/dV = I/c  des elektromagnetischen Strahlungsfeldes.

Übrigens verwechsele man den hier abgeleiteten Strahlungsdruck PS einer sich in einer Richtung ausbreitenden Strahlung nicht mit dem Strahlungsdruck PSi, den ein isotropes Strahlungsfeld, wie z. B. die Hohlraumstrahlung, erzeugt. Für ein isotropes Strahlungsfeld der Energiedichte εi gilt nämlich: PSi = εi/3.

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c) „tangential“ und „horizontal“

Vom anschaulichen Bild des Fußgängers im Regen ausgehend haben wir das Wort horizontal als Richtungsmerkmal benutzt, entsprechend die Begriffe Horizontalkraft und horizontaler Impuls. Zur Beschreibung eines Staubteilchens auf einer Kreisbahn um die Sonne im Strahlungsfeld des Sonnenlichts verwendet man stattdessen besser das Wort tangential als Richtungsmerkmal, entsprechend die Begriffe Tangentialkraft und tangentialer Impuls, physikalisch ist hier dasselbe gemeint. Halten wir fest:

„tangential“ (Staubteilchen) ≡ „horizontal“ (Fußgänger) .

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Das Staubkorn in der Sonnenstrahlung

a) Die tangential wirkende Kraft

Bisher hatten wir nur einen senkrecht zur Bewegungsrichtung angeordneten ebenen Schirm der Fläche AS betrachtet. Das vom Schirm leergeräumte Volumen kann aber stattdessen auch von einem kugelförmigen Körper leergeräumt werden, dabei ist jedoch die Querschnittsfläche Poynting-Robertson-Effekt 3 der Kugel AK = r2∙π zu betrachten. Die Wirkung der kreisförmigen Querschittsfläche AK wird genauso durch einen ellipsenförmigen Schirm der Fläche AS entsprechend nebenstehender Skizze erzielt, es muß dann gelten:

AS/AK = (v2 + c2)½/v ,
AS = AK∙(v2 + c2)½/v = r2∙π∙(v2 + c2)½/v .

Setzt man in die Formel für Ft (Tangentialkraft, zuvor Horizontalkraft genannt) die Größe AS ein, so folgt:

Ft = −(r2∙π∙I∙v/c3)∙(v2 + c2)½ ,
Ft = −(r2∙π∙I∙v/c2)∙(1 + (v/c)2)½ .

Da, wie anfangs bereits vorausgesetzt, v ≪ c gilt, und da wir Unterschiede um den Faktor (1 ± v/c) vernachlässigen, trifft dies insbesondere für den Faktor (1 + (v/c)2)½ zu, so daß wir für Ft auch schreiben können:

Ft = −r2∙π∙I∙v/c2 .

Um im folgenden die Wirkung der Kraft Ft auf das Staubkorn im gesamten Planetensystem zu betrachten, wollen wir statt der Intensität I und der Bahngeschwindigkeit v den Bahnradius R und die Sonnenleuchtkraft L benutzen. Für die Intensität I gilt:

I = L/(4∙π∙R2) ,

und für die Bahngeschwindigkeit v gilt nach Newton:

v = (G∙M/R)½ ,

dabei steht G für die Gravitationskonstante und M für die Masse der Sonne. I und v in die Gleichung für Ft eingesetzt ergibt:

Ft = −[(r2∙L)/(4∙c2)]∙[G∙M/R5]½ .

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b) Bahndynamik und Lebensdauer des Staubkorns

Wie wirkt sich nun diese Tangentialkraft Ft beim Umlauf des Körpers um die Sonne aus? Betrachten wir dazu den Bahndrehimpuls PK des Körpers der Masse m und seine Abhängigkeit vom Bahnradius R:

PK = m∙v∙R = m∙(G∙M∙R)½ .

Differenziert man diese Gleichung, so erhält man:

dPK = (m/2)∙[G∙M/R]½∙dR ,

und man sieht, wie einer kleinen Änderung dPK des Bahndrehimpulses PK einer kleine Bahnradiusänderung dR des Bahnradius R entspricht. Nach Division mit dem Zeitintervall dt, in dem diese Änderung stattfindet, erhalten wir also für die zeitliche Änderung des Bahndrehimpulses:

dPK/dt = (m/2)∙[G∙M/R]½∙dR/dt .

Da das Drehmoment R∙Ft gleich der zeitlichen Änderung des Bahndrehimpulses ist, gilt:

R∙Ft = dPK/dt ,
−R∙[(r2∙L)/(4∙c2)]∙[G∙M/R5]½ = (m/2)∙[G∙M/R]½∙dR/dt .

Diese Gleichung läßt sich reduzieren auf:

(r2∙L)/(2∙c2∙m) = −R∙dR/dt ,
[(r2∙L)/(2∙c2∙m)]∙dt = −R∙dR .

Man kann diese Gleichung direkt integrieren und erhält:

[(r2∙L)/(2∙c2∙m)]∙(t − t0) = −(R2/2 − R02/2) .

R0 ist der Bahnradius, bei dem der Körper sich zum Zeitpunkt to befindet, R ist der Bahnradius, den der Körper zum Zeitpunkt t > t0 erreicht. Betrachtet man Anfangsbahnradien R0, die deutlich größer sind als der minimal mögliche Bahnradius R (Sonnenradius!), so kann der Term R2/2 in obiger Gleichung gegenüber R02/2 vernachläßigt werden, und die Zeitdauer T (= t − t0) bis zum Sturz des Körpers in die Sonne ergibt sich zu:

T = [c2∙m/(r2∙L)]∙R02 .

Ersetzt man die Masse m des Körpers durch seine Dichte ρk und seinen Radius r nach:

m = ρk∙(4/3)∙π∙r3 ,

so erhält man eine für Abschätzungen im Planetensystem praktischere Formel:

T = [(4∙π∙ρk∙c2∙r)/(3∙L)]∙R02 .

Bemerkenswert ist, daß die Lebensdauer T nicht vom Wert der Gravitationskonstanten G abhängt. Würde man G variieren, es hätte keinen Einfluß auf die Lebensdauer des Staubteilchens!

Ferner sollte noch erwähnt werden, daß die Zeit T eine obere Schranke der Lebensdauer bedeutet, da die Staubkörner, je nach Beschaffenheit, in der Regel vor Erreichen der Sonne wegen steigender Gleichgewichtstemperaturen soweit in kleinere Teilchen zerfallen oder sogar verdampfen, bis die Überreste durch die radial wirkende Kraft schließlich aus dem Sonnensystem „geblasen“ werden. Die radial wirkende Kraft wird im übernächsten Abschnitt d) behandelt.

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c) Drei Beispiele

1. Beispiel mit folgenden Werten:

ρk = 103 kg/m3 (= 1 g/cm3)
r = 10−6 m (Durchmesser = 2 μm)
L = 3.843∙1026 W ([W] = [J/s] = [kg∙m2/s3], aus [5])
R0 = 7.78295∙1011 m (Bahnradius Jupiter, berechnet aus [5] u. [6])

man erhält:

T = 5.93∙1011 s = 1.88∙104 Jahre.

In verblüffend kurzer Zeit wird also dieser „Mikrostaub“ aus dem Sonnensystem entfernt!

2. Beispiel mit folgenden Werten:

ρk = 103 kg/m3 (= 1 g/cm3)
r = 5∙10−3 m (Durchmesser = 1 cm)
L = 3.843∙1026 W ([W] = [J/s] = [kg∙m2/s3], aus [5])
R0 = 1.49598∙1011 m (Bahnradius Erde (≡ 1 AU), aus [5])

man erhält:

T = 1.096∙1014 s = 3.47∙106 Jahre.

Verglichen mit der Erdgeschichte (≈4.5∙109 Jahre) werden sogar Teilchen von 1 cm Durchmesser in relativ kurzer Zeit aus der Erdbahn entfernt!

3. Ein Beispiel aus Robertsons Originalarbeit [2] (Seite 434, zweitletzter Absatz, zweiter Partikelradius):

ρk = 5.5∙103 kg/m3 (= 5.5 g/cm3)
r = 10−5 m (Durchmesser = 20 μm ≘ Radius = 10−3 cm)
L = 3.7966∙1026 W (≙ S = 1.35∙106 erg/(cm2∙s), siehe [2], Seite 430 unten)
R0 = 1.49598∙1011 m (Bahnradius Erde (≡ 1 AU), aus [5])

man erhält:

T = 1.22∙1012 s = 3.87∙104 Jahre.

Robertson gibt 3.9∙104 Jahre an, was im Rahmen der Rundung damit in Übereinstimmung ist.

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d) Die radial wirkende Kraft

Die radial wirkende Kraft ist für den eigentlichen Poynting-Robertson-Effekt unwichtig. Dennoch ist es nützlich, die Auswirkung der radialen Kraftkomponente zu betrachten, da dadurch eine Aussage darüber erreicht wird, welchen minimalen Teilchenradius rmin die Teilchen nicht unterschreiten dürfen, um nicht durch den Strahlungsdruck aus dem Sonnensystem hinaustransportiert zu werden. Es werden dieselben Annahmen und Voraussetzungen wie bisher benutzt.

Für einen Körper der Masse m auf einer Kreisbahn mit Bahnradius R ist die Zentrifugalkraft FZ:

FZ = ω2∙R∙m = v2∙m/R ,

mit der Winkelgeschwindigkeit dφ/dt = ω = 2∙π∙n, der Drehzahl n (Umdrehungen pro Zeit) und der Kreisbahngeschwindigkeit v = ω∙R. Damit der Körper sich auf einer Kreisbahn um die Sonne bewegen kann, muß die Kraft FZ mit der Gravitationskraft FG, die ja in Richtung Kreiszentrum wirkt, im Gleichgewicht stehen, es muß also gelten:

v2∙m/R = FZ = FG = G∙M∙m/R2 ,

was uns auch zu der schon zuvor benutzten Beziehung zwischen Bahngeschwindigkeit v in Abhängigkeit vom Bahnradius R führt, hier nur quadriert:

v2 = G∙M/R .

Entgegengesetzt zur Gravitationskraft wirkt aber eine Kraft FS, die durch die vom Körper absorbierte Sonnenstrahlung erzeugt wird, es ist der Strahlungsdruck PS = I/c multipliziert mit der Projektionsfläche AK = r2∙π des kugelförmigen Körpers:

FS = PS∙AK = (I/c)∙r2∙π .

Diese Kraft müssen wir mit in die Gleichung des Kräftegleichgewichts einbeziehen, wir haben dann:

FZ = FG − FS .

Ersetzen wir die Intensität I = L/(4∙π∙R2) in dem Ausdruck für FS, so erhält man:

FS = L∙r2/(4∙c∙R2) .

Setzen wir nun alle Ausdrücke für die drei im Gleichgewicht stehenden Kräfte ein, so erhalten wir:

v2∙m/R = G∙M∙m/R2 − L∙r2/(4∙c∙R2) ,
v2 = G∙M/R − L∙r2/(4∙c∙m∙R) ,
v2 = (G∙M/R)∙[1 − L∙r2/(4∙c∙G∙m∙M)] ,
v2 = G'∙M/R .

Wir erhalten also einen Ausdruck für das Quadrat der Bahngeschwindigkeit, der bis auf den Faktor [1 − L∙r2/(4∙c∙G∙m∙M)] die gleiche Struktur wie der zuvor (ohne Strahlungsdruck) abgeleitete Ausdruck hat. Man kann auch sagen, daß er mit der Gleichung ohne Strahlungsdruck übereinstimmt, wenn man die Gravitationskonstante G ersetzt durch eine veränderte Gravitationskonstante

G' = G∙[1 − L∙r2/(4∙c∙G∙m∙M)] .

Für Abschätzungen ist es zweckmäßiger, wenn man in dieser Formel die Masse m des Körpers durch Dichte ρk und Radius r beschreibt nach:

m = ρk∙(4/3)∙π∙r3 ,
G' = G∙[ 1 − 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M∙r∙ρk)] .

Der Strahlungsdruck überwiegt, wenn G' < 0 bzw.

1 < 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M∙r∙ρk) ,
r∙ρk < 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M) ,
r < 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M∙ρk) .

Wir erhalten also ein minimales Produkt (r∙ρk)min bzw. einen minimalen Teilchenradius rmin, die besagen, daß für Teilchen mit r∙ρk < (r∙ρk)min bzw. r < rmin keine Kreisbahn mehr möglich ist, das Teilchen wird von der Sonne „weggeblasen“:

(r∙ρk)min = 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M) 
bzw.
rmin = 3∙L/(16∙π∙c∙G∙M∙ρk) .

In diesen Gleichungen spielt der Abstand von der Sonne keine Rolle. Gäbe es nicht die Wirkung des Poynting-Robertson-Effekts, die Bahnform der Staubteilchen um die Sonne wäre dieselbe, wie sie aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz folgt (Keplerbahn), jedoch wegen der kleineren „effektiven“ Gravitationskonstanten G' mit verringerter Geschwindigkeit.

Betrachten wir ein Beispiel mit folgenden Werten:

ρk = 103 kg/m3 (Dichte = 1 g/cm3)
L = 3.843∙1026 W = kg∙m2/s3 (Sonnenleuchtkraft, aus [5])
M = 1.9884∙1030 kg (Sonnenmasse, aus [5])
G = 6.6743∙10−11 m3/(kg∙s2) (Gravitationskonstante, aus [5])
c = 2.99792458∙108 m/s (Lichtgeschwindigkeit, aus [5])

Das Ergebnis für dieses Beispiel lautet:

Der Strahlungsdruck überwiegt, wenn r∙ρk < (r∙ρk)min = 5.8∙10−4 kg∙m−2 
bzw.
der Strahlungsdruck überwiegt, wenn r < rmin = 5.8∙10−7 m = 0.58 μm .

Robertson gibt für r∙ρk den Wert 5.7∙10-5 g∙cm−2 an (siehe [2], Seite 433, zweitletzter Abschnitt), was unter Berücksichtigung des etwas kleineren Wertes der von ihm verwandten Solarkonstanten (S = 1.35∙106 erg/(cm2∙s) ≙ L = 3.7966∙1026 W; siehe [2], Seite 430 unten) damit übereinstimmt.

Abschließend noch eine Bemerkung zur Gleichung für die Größe (r∙ρk)min. Diese hat die Dimension einer Flächendichte σ. Wenn man die Dichte ρk durch Masse mk und Radius r des kugelförmigen Teilchens über ρk = 3∙mk/(4∙π∙r3) ersetzt, und dann die Gleichung noch mit dem Faktor 4∙π/3 multipliziert, so folgt die minimale Flächendichte σmin:

σmin = L/(4∙c∙G∙M) (100 % Absorption).

Danach wird eine total absorbierende Folie, die orthogonal zur Strahlungsrichtung ausgerichtet und deren Flächendichte kleiner als σmin ist, vom Stern weggeblasen; eine total reflektierende (genauer: spiegelnde) Folie darf die doppelte Flächendichte besitzen um noch fortgeblasen zu werden. Setzt man die im vorigen Beispiel gegebenen Werte ein, so erhält man für die Sonne eine minimale Flächendichte σmin☉:

σmin☉ = 2.4∙10−3 kg/m2 (100 % Absorption).

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„Bremsen beschleunigt!“, ein Paradoxon?

Im allgemeinen dient eine Bremse dazu, die Geschwindigkeit, z. B. eines Autos, zu verringern. Und so funktioniert es auch im Straßenverkehr. Ganz anders sind aber die Verhältnisse, wenn ein Körper relativ kleiner Masse sich im gravitativen Kraftfeld einer Zentralmasse MZ bewegt! Die Kreisbahngeschwindigkeit v als Funktion des Bahnradius R ist:

v = (G∙MZ/R)½ ,

mit abnehmenden Radius ergeben sich wachsende (Kreis-)Bahngeschwindigkeiten. Das stetige Anwachsen der Geschwindigkeit ist nur im Fall sehr kleiner Bremskräfte zu beobachten, die so klein sind, daß von Umlauf zu Umlauf der Radius nur sehr wenig verringert wird. Ein bekannter Fall ist der eines Satelliten, der durch Reibung in der oberen Atmosphäre sich allmählich der Erde nähert, und dessen Bahngeschwindigkeit dabei ständig wächst (bis er am Ende verglüht). Genauso wirkt sich der Poynting-Robertson-Effekt auf die Bahn eines Staubkorns aus, seine Bahngeschwindigkeit wächst ständig.

Bremst man jedoch plötzlich stark, so wird die Geschwindigkeit des Körpers zunächst tatsächlich verringert. Als Beispiel stelle man sich ein Raumschiff auf einer Kreisbahn um die Erde vor, das auf eine Kreisbahn mit kleineren Radius übergehen möchte. Es bremst kurzzeitig entgegen Bahnbewegung mit einem Bremsschub, was zu einer elliptischen Bahn führt. Ist der Minimalradius der Ellipsenbahn erreicht (Perigäum), so wird mit einem zweiten Bremsschub geeigneter Stärke die Geschwindigkeit soweit verringert, daß sie der neuen Kreisbahn entspricht. Die Übergangsellipse, auf der die neue Kreisbahn erreicht wurde, hat im Apogäum eine kleinere, im Perigäum eine größere Geschwindigkeit als die jeweilige Kreisbahn. Am Ende des ganzen Vorgangs ist aber die Bahngeschwindigkeit entsprechend obiger Formel vergrößert worden.

Halten wir fest: Es gibt Fälle, bei denen durch Bremsen die Geschwindigkeit verringert wird, und es gibt Fälle, bei denen sie vergrößert wird!

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Beispiele irreführender oder unphysikalischer Beschreibungen

Im wesentlichen finden sich zwei grundsätzliche Fehler in Darstellungen des Poynting-Robertson-Effekts, nämlich einerseits, daß im Beobachtersystem die entgegen Bewegungsrichtung wirkende Kraftkomponente kausal durch Ausstrahlung bedingt sei, und andererseits, daß diese Kraft zu einer Abnahme der Geschwindigkeit des Teilchens führe. Beides trifft nicht zu!

In den Quellen [7] und [8] wird die Ausstrahlung von Photonen im System des Teilchens als Grund für die Abbremsung des Teilchens angeführt, so in [7] unter dem Stichwort „Poynting-Robertson-Effekt“, und in [8] in der Bildbeschreibung der Abb. 1. Es liegt hier keineswegs eine Verwechslung mit dem Jarkowski-Effekt [9] vor! Ich zitiere:

[7]a
Poynting-Robertson-Effekt, die Abnahme der Geschwindigkeit eines um die Sonne kreisenden kleinen Teilchens, dadurch verursacht, daß durch das Teilchen Sonnenlicht absorbiert und dann wieder nach allen Richtungen ausgestrahlt wird.“ …
[7]b
… „Bei der Wiederausstrahlung der aus dem Sonnenlicht absorbierten Energie durch das Teilchen führen die ausgesandten Lichtquanten einen Impuls mit sich, der dem Impuls des Teilchens entzogen wird. Dieser Teilchenimpuls ist der Teilchengeschwindigkeit und der Teilchenmasse proportional. Die Teilchenmasse ändert sich trotz der Ausstrahlung nicht, da die ausgestrahlte Energie durch die aus der Sonnenstrahlung absorbierte ersetzt wird. Daher wirkt sich die Impulsverringerung in einer Verkleinerung der Teilchengeschwindigkeit aus.“ …
[7]c
… „Die Impulszufuhr durch die aus dem Sonnenlicht absorbierten Lichtquanten bewirken dagegen nur den von der Sonne fortgerichteten Strahlungsdruck, verändert also nicht die dazu senkrechte Bahngeschwindigkeit des Teilchens.“ …
[8]a
… „Die in Flugrichtung ausgesandte Energie ist größer (kurzwelliger) als die in die Gegenrichtung abgestrahlte. Der Rückstoß bremst die Umlaufbewegung.“ …

Es gibt verschiedene physikalische Argumente, mit denen gezeigt werden kann, daß die Ausstrahlung grundsätzlich nicht für die Abbremsung infrage kommt (damit auch nicht der Dopplereffekt!). Das schlagende Argument ist wohl das Relativitätsprinzip der Speziellen Relativitätstheorie, welches besagt, daß alle sich gleichförmig gegeneinander bewegende Bezugssysteme hinsichtlich der Darstellung physikalischer Gesetze gleichwertig sind, siehe z. B. unter Relativitätstheorie in [10]. Dieses Prinzip wird hier verletzt, denn wenn im System des Teilchens durch Ausstrahlung keine Kräfte auf das Teilchen wirken, dann kann es auch im System des (ruhenden) Beobachters durch Ausstrahlung keine Kräfte geben!

Betrachtet man es ganz genau, dann bewegt sich das System des Teilchens nicht gleichförmig zum System des Beobachters, da es sich auf einer Kreisbahn um die Sonne befindet und daher Trägheitskräfte auftreten. Dennoch kann das hier vernachlässigt werden, da die beschriebenen Effekte (Wiederausstrahlung, Dopplereffekt) nicht mit den durch die Kreisbahn bedingten Trägheitskräften im Zusammenhang stehen. Man kann deshalb auch (lokal) die Kreisbewegung durch eine lineare (ohne Trägheitskräfte) ersetzen und deshalb das Relativitätsprinzip anwenden.

Obwohl die Verletzung des Relativitätsprinzips die Erklärung der Abbremsung (aus Sicht des ruhenden Beobachters) mittels der Ausstrahlung ad absurdum führt, möchte ich doch noch auf die zitierten Sätze im Einzelnen eingehen:

Satz [7]a ist falsch, weil die Geschwindigkeit des Teilchen zunimmt statt abnimmt! Das liegt an der durch die Tangentialkraft verursachte Abnahme des Bahndrehimpulses, was mit einer Verkleinerung des Bahnradius verbunden ist (v ~ R−½). Bahnen mit kleinerem Bahnradius haben eine größere Bahngeschwindigkeit!

Die Sätze [7]b sind besonders ärgerlich, da sie eine völlig diffuse, schwammige Ausdrucksweise zur Erklärung physikalischer Vorgänge benutzen: Wie wird einem Teichen ein Impuls durch Ausstrahlung entzogen? Und kann daraus auf eine Geschwindigkeitsänderung geschlossen werden? Strahlt das Teilchen gleichzeitig in Flugrichtung und entgegen Flugrichtung jeweils ein Photon derselben Energie bzw. Masse ab, so heben sich die beiden auftretenden Rückstoßkräfte auf, und deshalb bleibt die Geschwindigkeit des Teilchens unverändert. Dennoch hat das Teilchen Impuls verloren, nicht aufgrund einer Geschwindigkeitsänderung, sondern aufgrund des Massenverlustes durch die Abstrahlung der Photonen (Masse‒Energie‒Äquivalenz). Der Schluß auf eine Geschwindigkeitsänderung durch Impulsentzug ist in diesem Fall also falsch. Ein Körper kann eben seinen Impuls ohne Geschwindigkeitsänderung verringern, wenn er Masse so abstößt, daß der Gesamtimpuls der abgestoßenen Masse durch das Abstoßen nicht verändert wird, und genau das trifft hier zu.

Satz [7]c ist falsch, weil durch die Bewegung quer zum radialen Strom der Lichtquanten (im System des ruhenden Beobachters) das Teilchen mit den Lichtquanten kollidiert (und diese absorbiert), und zwar mit einer tangentialen Komponente. Die Masse der Lichtquanten hat vor der Absorption keine tangentiale Impulskomponente, danach hat sie eine Impulskomponente in tangentialer Richtung bekommen, die vom Teilchen geliefert wurde. Man kann auch sagen, es fand ein Impulsaustausch statt. Der auf die absorbierte Masse übertragene Impuls wurde vom Teilchen geliefert, jedoch mit entgegengesetztem Vorzeichen. Deshalb ist die Impulssumme vor dem Stoß auch gleich der nach dem Stoß. Dieser Impulsaustausch bedeutet aber eine Kraft auf das Teilchen entgegen seiner tangentialen Bahnbewegung. Die sehr kleine aber ständig wirkende Kraft entgegen der Bewegungsrichtung führt wegen der dadurch verursachten Abnahme des Bahndrehimpulses notwendig zu einer Geschwindigkeitserhöhung, was der Satz [7]c ausdrücklich verneint!

Seit der 8. Auflage des ABC Astronomie, die 1999 noch unter dem Namen Lexikon der Astronomie erschien, ist der Beitrag zum Poynting-Robertson-Effekt überarbeitet und verbessert [10].

Im Zitat [8]a (siehe Bildbeschreibung zur Abb. 1 in [8]) ist der erste Satz (vom ruhenden Beobachter aus gesehen) zwar richtig, der zweite Satz ist dann jedoch falsch! Wäre der zweite Satz war, so könnte man mit folgendem Gedankenexperiment zeigen, daß man einen Rückstoß auf nichts ausüben kann: Stellen wir uns ein Atom Positronium vor. Positronium ist ein dem Wasserstoffatom ähnliches Atom, bei dem das Proton durch ein Positron (Antiteilchen zum Elektron) ersetzt ist. Vom Positronium gibt es, je nach Spinstellung von Elektron und Positron zueinander, zwei Arten, nämlich das Parapositronium (Spins antiparallel) und das Orthopositronium (Spins parallel). Das Parapositronium zerfällt mit einer Halbwertzeit von ca. 0.125 ns aufgrund von Impuls- und Spinerhaltungssatz in genau zwei Photonen (Energie je 511 keV), die in entgegengesetzte Richtungen abgestrahlt werden, es ist die sogenannte Vernichtungsstrahlung. Die Materie wird vollständig in Strahlung umgewandelt, sonst bleibt nichts übrig. Wenn das Parapositronium vor dem Zerfall relativ zum Beobachter eine Geschwindigkeit v hat, so sieht der Beobachter nach dem Zerfall das auf ihn zukommende Photon mit größerer Energie als das von ihm wegfliegende (Dopplereffekt). Nach Aussage [8]a ist aus der Energiedifferenz auf einen Rückstoß zu schließen, aber auf was? Auf nichts?! Da es noch niemandem gelang, einen Stoß auf nichts auszuüben, liegt ein Widerspruch zur Aussage [8]a vor, nach der aus der Differenz der Photonenenergien auf einen Rückstoß zu schließen ist. Aussage [8]a ist also falsch.

Wie sich die Dinge bei der Abstrahlung von Photonen im Detail verhalten, das sei mit einem anderen Gedankenexperiment durch die folgende Skizze erläutert:

Auch in der deutschen Wikipedia war der Beitrag unter Poynting-Robertson-Effekt [11] bis 2005-09-10 fehlerhaft, nach Rücksprache mit einem der Autoren wurde er ab 2005-11-03 verbessert. In der englischen Wikipedia enthalten ältere Versionen (vor 2006-07-14) des Beitrags Poynting-Robertson effect [12] eine falsche Aussage: „From the perspective of the solar system as a whole, the dust grain absorbs sunlight entirely in a radial direction. However, the dust grain's motion relative to the Sun causes it to re-emit that energy unevenly (more forward than aft), causing an equivalent change in angular momentum (a sort of recoil).“ Seit 2006-07-14 ist der Fehler beseitigt. Ebenso enthielt der Beitrag Zodiacal light [13] eine falsche Aussage: „Sunlight absorbed by the dust particles is re-emitted as infrared radiation. This reradiation causes the particles to spiral slowly into the Sun (Poynting-Robertson effect), thus requiring a continuous source of new particles to maintain the zodiacal cloud.“ Seit 2006-07-20 ist auch dieser Fehler beseitigt.

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Epilog

a) Die Vermeidung der Planckschen Konstanten h

Die hier dargestellte Ableitung hätte man auch unter Verwendung von Energie EPh und Impuls IPh des Photons durchführen können, EPh = h∙ν bzw. IPh = h∙ν/c. Zur Beschreibung dieser Größen wird die Plancksche Konstante h benutzt. Es zeigt sich aber, daß h im Endergebnis gar nicht vorkommt. Da letztlich die Äquivalenz von Masse und Energie dahinter steckt (IPh = h∙ν/c = EPh/c = m∙c), habe ich die direkte Ableitung ohne Verwendung der Planckschen Konstanten bevorzugt.

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b) Die perfekt reflektierende Kugel

Ein interessanter Spezialfall, den übrigens auch Robertson [2] erwähnt (Zusatzbemerkung auf Seite 427 ganz unten), ist der einer perfekt reflektierenden Kugel. Man kann zeigen, daß die Kraft auf diese durch ein Strahlungsfeld der Intensität I identisch ist mit der auf eine schwarze Kugel. Da eine perfekt reflektierende Kugel keine Eigenstrahlung haben kann, zeigt sich auch hier, daß eine (isotrope) Ausstrahlung nichts mit dem Bremseffekt zu tun hat!

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c) Warum?

Der ursprüngliche Anlaß zu dieser Ableitung war die Bildbeschreibung zur Abb. 1 des Artikels [8] in Sterne und Weltraum. Als Folge davon entdeckte ich dann die oben genannten Fehler in der weiteren Literatur und in der Wikipedia. Da außerdem in allen mir bekannten Abhandlungen keine verifizierbaren Angaben zum Effekt existieren, wie z. B. Formeln zur Lebensdauer der Staubteilchen, sah ich mich veranlaßt, mich mit dem Effekt zu befassen und diese Seite zu erstellen. Ich hoffe, mir sind dabei keine Fehler unterlaufen!

Leider war ich nicht in der Lage, den Autor des Artikels [8] davon zu überzeugen, daß die Bildbeschreibung zur Abb. 1 falsch ist. Wenigstens findet man aber im Heft 11/2005 von Sterne und Weltraum unter der Rubrik Leserbriefe eine Korrektur, die in der Antwort auf einen Leserbrief enthalten ist, sie wurde vom Leserbriefredakteur, Herrn Dr. Ulrich Bastian, geschrieben.

Möge diese Ableitung dazu beitragen, die physikalisch falschen Darstellungen des Poynting-Robertson-Effekts, die möglicherweise auf Poyntings Arbeit [1] (siehe Seite 537, PART Ⅱ) zurückgehen, zu tilgen!

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Quellenverzeichnis

  [1] John Henry Poynting, [3.9 MByte pdf]
„Radiation in the Solar System: its Effect on Temperature and its Pressure on Small Bodies“,
Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series A, 202, pp. 525-552 (1904).
Kopie von http://rsta.royalsocietypublishing.org/content/202/346-358/525.full.pdf.
  [2] Howard Percy Robertson, [1.8 MByte pdf]
„Dynamical Effects of Radiation in the Solar System“,
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 97, pp. 423-438 (April 1937).
Kopie von http://articles.adsabs.harvard.edu/full/1937MNRAS..97..423R.
  [3] L. Page, [Zusammenfassung von [4], 307 kByte pdf]
„Is a Moving Mass Retarded by the Reaction of its own Radiation?“,
Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 4, pp. 47-49 (1918).
Kopie von http://www.pnas.org/content/4/2/47.full.pdf+html.
  [4] L. Page, [1.7 MByte pdf]
„Is a Moving Mass Retarded by the Reaction of its own Radiation?“,
Physical Review (Series Ⅱ) 11 (Issue 5), pp. 376-400 (1918).
[Alternativ, seit Mitte 2008 Paßwort nötig: Physical Review online Archive]
  [5] C. Amsler et al. (Particle Data Group),
Physics Letters, B667, p. 1 (2008).
[Synonym: „The Review of Particle Physiks“, [87 kByte pdf],
  Kapitel: „Reviews, Tables, and Plots“,
  Kategorie: „Constants, Units, Atomic and Nuclear Properties“,
  Abschnitt: „Astrophysical constants and parameters“,
  Kopie von http://pdg.lbl.gov/2009/reviews/rpp2009-rev-astrophysical-constants.pdf.]
  [6] E. M. Standish, [68 kByte pdf]
„Keplerian Elements for Approximate Positions of the Major Planets“,
JPL/Caltech (Solar System Dynamics Group).
Kopie von http://ssd.jpl.nasa.gov/txt/aprx_pos_planets.pdf.
  [7] Alfred Weigert, Helmut Zimmermann,
„ABC der Astronomie“,
Werner Dausien - Hanau/Main, 3. Aufl. (1971).
  [8] Rudolf Kippenhahn, [http://rschr.de/Bilder/PRefektd.gif (Abb. 1)]
„Der sanfte Druck des Lichts“,
Sterne und Weltraum, Heft 9/2005, S. 46-47 (Sept. 2005).
  [9] Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, [https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite]
„Jarkowski-Effekt“, [https://de.wikipedia.org/wiki/Jarkowski-Effekt]
[10] Helmut Zimmermann, Joachim Gürtler,
„ABC Astronomie“,
Spektrum Akademischer Verlag - Heidelberg, 9. Aufl. (2008).
[11] Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, [https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite]
„Poynting-Robertson-Effekt“, [https://de.wikipedia.org/wiki/Poynting-Robertson-Effekt]
[12] Wikipedia, The free Encyclopedia, [https://en.wikipedia.org/wiki/Main_Page]
„Poynting-Robertson effect“, [https://en.wikipedia.org/wiki/Poynting-Robertson_effect]
[13] Wikipedia, The free Encyclopedia, [https://en.wikipedia.org/wiki/Main_Page]
„Zodiacal light“, [https://en.wikipedia.org/wiki/Zodiacal_light]

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